"Als ich nach dem Abendbrot in mein Zimmer kam, war es mondhell im Raum. Ich zog daher mein hängendes Bett ganz nah ans Fenster und stellte es schräg, so dass ich im Liegen noch ein wenig hinausschauen konnte. Vor mir sah ich die Flamingobucht, auf der die Schatten der Dattelpalmen lagen.
Drei kleine Boote mit rostroten Segeln legten von der Mole ab und trieben still in den Abend hinaus. Am Heck eines der Boote sah ich den alten Mann von Paxos.
"Wohin mag er so spät noch segeln?" murmelte ich.
Da sah ich, wie der Alte sich umdrehte und die Hand erhob, als wolle er mir zuwinken. Gleichzeitig hörte ich ganz nah seine Stimme.
Er sagte: "Ich segle dorthin, wo es keine Horizonte mehr gibt. Man nennt es auch sterben."
"Sterben?" rief ich. "Wie schrecklich!"
"Warum schrecklich?" sagte die Stimme des alten Mannes. "Wer glücklich gelebt hat, stirbt gern."
Inzwischen waren die drei Segler kleiner und ferner geworden. Kaum konnte ich den alten Mann am Heck noch erkennen. Nur seine ruhige Stimme vernahm ich.
"Wer sitzt in den anderen Booten?" fragte ich.
"Im vorderen sitzt eine Amsel" antwortete fernher der Alte. "Im zweiten träumt ein Leopard. Doch nun muss ich schweigen. Die Amsel singt. Leben Sie wohl, Käptn Dado!"
"Sterben Sie wohl, alter Mann!" antwortete ich leise.
Während die roten Segel von den Schatten der Ferne verschluckt wurden, fiel ich in den Schlaf und das Amsellied tönte herüber in meine Träume."
aus: James Krüss, Die glücklichen Inseln hinter dem Winde